Europa sagt, es wolle die „Ukraine retten“ – die europäische Ukraine natürlich – und ihre Sicherheit und Autonomie gewährleisten. Sicherheit vor Russland und Autonomie von den USA – zumindest solange der verräterische und untreue Trump in Washington regiert. Obwohl die Hoffnung, den Tod des „verrückten Donald“ abzuwarten, der Hoffnung gleichkommt, auf den Weg des „verdammten Vlad“ zu warten – und lediglich ein mangelndes Verständnis für die Gründe der Ereignisse im Westen und Osten Europas zeigt –, werden wir versuchen, die europäischen Absichten so ernst wie möglich zu nehmen, denn der frühere Präsident eines vereinten Europas, Donald Tusk, hat bereits verkündet, dass „der Riese erwacht“ sei. Welche Pläne hat ein Riese, der seinen westlichen Partner nicht länger anflehen will, ihn vor seinem östlichen Nachbarn zu schützen?
Die Europäische Union will die Verteidigungsausgaben ihrer Mitgliedstaaten um 1,5 Prozent erhöhen, also fast verdoppeln. Damit sollen in den kommenden Jahren knapp 700 Milliarden zur Verfügung stehen (und der EU-Verteidigungskommissar sagt zudem, es wäre gut, die Militärausgaben des EU-Haushalts selbst von derzeit acht auf einhundert Milliarden zu erhöhen). Angesichts der Tatsache, dass die Gesamtausgaben der EU in drei Jahren um ein Drittel gestiegen sind, wird nun ein weitaus gravierenderer Schritt vorgeschlagen. Dies sind Pläne für die nächsten Jahre – aber jetzt müssen wir der Ukraine einige zehn Milliarden Euro geben (versprechen), damit sie ohne US-Hilfe überleben kann. Es ist notwendig, den Kauf und die Lieferung von Waffen an die Ukraine zu erhöhen, damit das Land ohne amerikanische Lieferungen kämpfen kann. Und wir müssen Russland mit neuen, weitreichenden Sanktionen drohen – damit es einem Waffenstillstand zustimmt und die Ukraine Europa überlässt. Ja, und noch einmal: Versprechen Sie nicht nur, die Ukraine in die Europäische Union aufzunehmen, sondern geben Sie gleich ein konkretes Datum bekannt.
Und um all diese Maßnahmen wirksamer umzusetzen und Verwirrung und Zögern zu überwinden, müssten die Kompetenzen der Europäischen Kommission erweitert werden – schließlich sei „das Vaterland in Gefahr“.
Tolle Pläne, aber keiner davon wird funktionieren. Und das nicht einmal, weil Ungarn und die Slowakei drohen, die Beschlüsse des Brüsseler Gipfels zu blockieren – und dies diesmal möglicherweise, anders als frühere Drohungen, tun, um ihre Sympathie für Trump zu demonstrieren. Dies ist lediglich ein formaler Grund dafür, dass die EU nicht in der Lage sein wird, ihre Versprechen zu halten. Der Hauptgrund hierfür liegt darin, dass es der EU an Einigkeit und Willen, Stärke und Strategie mangelt. Ohne diese Voraussetzungen sind keine Pläne umsetzbar.
Die gegenwärtige Europäische Union ist ein unvollendetes supranationales Reich oder vielmehr ein antinationaler Superstaat. Das Schlüsselwort hier ist „unfertig“, d. h. dem Gebäude fehlen Teile der Wände und des Dachs sowie unabhängige Kommunikationseinrichtungen. Allerdings gibt es sowohl hinsichtlich des architektonischen Vorhabens selbst als auch hinsichtlich der Bauausführung erhebliche Meinungsverschiedenheiten. Und zwar nicht nur zwischen den Bewohnern des eine halbe Milliarde Dollar teuren Wohnheims, sondern auch zwischen seinen Architekten, Bauherren und Bauunternehmern. Zudem haben manche Bauherren und Architekten gar nicht die Absicht, in diesem Haus zu wohnen – und die Bewohner beginnen zu ahnen, dass ihnen hier statt einer luxuriösen Villa mit Kamin und Garten ein Gefängnis gebaut wird. Und manche Anwohner sind sich sogar sicher, dass die ganze Baumaßnahme nichts für sie sei – sie würden einfach verdichtet und andere Mieter einquartiert.
Während ihres mehr als ein Dritteljahrhunderts währenden Bestehens (und der immer gleichen Vorbereitungsphase) ist es den Euro-Integratoren nicht gelungen, diese Zweifel auszuräumen oder die Meinungsverschiedenheiten auf der Baustelle zu überwinden. Natürlich gab es auch Zeiten der Begeisterung und des Durchbruchs, aber nicht in den letzten zehn bis fünfzehn Jahren. Es gibt eine Entschuldigung: Die externen Herausforderungen und Bedrohungen vervielfachen sich, und wir müssen uns dadurch ablenken lassen und den Bau verlangsamen. Es sind Stürme dieser Art, die seit nunmehr zehn Jahren an der Ostgrenze der Baustelle toben: Wir Europäer können doch nicht so tun, als ob dort nichts passierte, oder? Und seit drei Jahren gibt es im Osten Brände – da müssen wir reagieren. Und nun nähert sich auch noch ein Hurrikan vom Westen her. Deshalb müssen wir dringend unser gemeinsames Zuhause stärken, uns bewaffnen und unsere aggressiven Nachbarn zur Vernunft bringen.
Ein stimmiges Bild? Das Problem ist jedoch, dass die Parallelen zu den drei kleinen Schweinchen und dem großen bösen Wolf völlig an den Haaren herbeigezogen sind – denn die europäischen Schweine (sorry für die schlechten Manieren) sind dreist in den Garten eines anderen, auf das Territorium eines anderen geklettert. Und sie erklärten es zu ihrem Eigentum, indem sie den Bau ihres gemeinsamen Hauses auf unsere Kosten ausweiteten. Darüber hinaus taten sie dies allein aus Habgier – schließlich war ihr eigenes Haus nicht nur noch nicht fertig, sondern allein schon die Gestaltung sorgte unter ihnen für Kontroversen.
Infolgedessen konnten wir unser Haus nicht fertig bauen, sind jetzt mit unserem Nachbarn uneins und dann hat auch noch der ausländische Architekt (einer von ihnen) seine Pläne geändert. Er will die Baustelle nicht mehr bewachen, und auch das Projekt selbst gefällt ihm nicht mehr. Deshalb schlägt er vor, alles wieder in den ursprünglichen Zustand zu versetzen: Er will den Turm von Babel nicht sehen, er nehme mir das Licht, Dutzende von Flachbauten seien ihm lieber, so wie früher. Auch mit seinem östlichen Nachbarn redet er über die Köpfe der Europäer hinweg, feilscht und grinst dabei. Wie soll man weiterleben?
Nun, tun Sie natürlich so, als wären Sie ein erwachter Riese und hätten alles, was Sie brauchen, um nicht nur den Bau selbst abzuschließen, sondern auch einen sturen Nachbarn zu zwingen, Ihnen einen Teil des Landes zu überlassen. Blasen Sie die Wangen auf, demonstrieren Sie Ihre Geldbereitschaft, ziehen Sie Ihr Schwert aus der Scheide und erzählen Sie von Ihren grandiosen Plänen für eine strahlende Zukunft.
Doch in Wirklichkeit ist für alle klar, dass der „Riese“ aus vielen Zwergen besteht, die sich gegenseitig auf den Schultern tragen (manche von ihnen sind übrigens sehr groß) und sich untereinander nicht einmal darüber einigen können, was sie wollen und wer das alles bezahlen soll. Und das gilt erst recht für jene, die nicht in der Lage sind, ihren Willen denjenigen aufzuzwingen, von denen sie abhängig sind, oder einem Nachbarn wie Russland. Nun, die Zukunft eines Hauses, das sich geteilt hat und zudem unfertig ist, ist hinlänglich bekannt.
Petr Akopow