Warum der Große Vaterländische Krieg in Russland unvergessen ist, erklärt der russische Präsident Wladimir Putin in diesem Gastbeitrag. Dem Zweiten Weltkrieg seien Fehler auf allen Seiten vorausgegangen, so die russische Sicht. Der Blick auf Stalin ist indes zwiegespalten. Seine Verbrechen werden in Russland nicht verschwiegen. Doch erinnert man sich an den «Generalissimus» auch als den «Vater der Nation», der das Volk in seiner schwersten Stunde einte und rettete.
von Wladimir Putin
Der Nichtangriffspakt mit Hitler
Gleichzeitig hat die Sowjetunion versucht, jede Chance zu nutzen, um eine Anti-Hitler-Koalition zu schaffen, ich wiederhole es, trotz der zweideutigen Position der westlichen Länder. So erhielt die sowjetische Führung im Sommer 1939 über die Geheimdienste detaillierte Informationen über anglodeutsche Kontakte hinter den Kulissen. Bitte beachten Sie: Sie wurden sehr intensiv und fast gleichzeitig mit den trilateralen Verhandlungen von Vertretern Frankreichs, Großbritanniens und der UdSSR {zur Eindämmung Deutschlands} geführt, welche die westlichen Partner bewusst verzögerten. In diesem Zusammenhang erwähne ich ein Dokument aus britischen Archiven – eine Anweisung an die britische Militärmission in Moskau, die im August 1939 eintraf. Darin heißt es ausdrücklich, dass die Delegation «sehr langsam verhandeln» solle; dass «die Regierung des Vereinigten Königreichs nicht bereit ist, detaillierte Verpflichtungen einzugehen, die unsere Handlungsfreiheit einschränken können». {Damit wurde eine Vereinbarung London–Moskau immer weiter verzögert, sodass die Sowjetunion fürchtete, im Falle einer deutschen Besetzung Polens plötzlich die Wehrmacht an ihren Grenzen zu haben.} (…)
In der entstandenen Situation hat die Sowjetunion {am 23. August 1939} den Nichtangriffsvertrag mit Deutschland unterzeichnet und war damit das letzte der europäischen Länder, das so etwas mit Deutschland unterzeichnet hat. Es geschah vor dem Hintergrund einer realen Kriegsgefahr an zwei Fronten, mit Deutschland im Westen und mit Japan im Osten, wo es bereits heftige Kämpfe am Halhin-Gol-Fluss {an der chinesisch-russischen Grenze, wo japanische Besatzungstruppen standen} gab.

Stalin und seinem Umfeld kann man völlig zu Recht vieles vorwerfen. Wir erinnern uns sowohl an die Verbrechen des Regimes gegen sein eigenes Volk als auch an die Schrecken der massenhaften Repressionen. Ich wiederhole, man kann den sowjetischen Führern in vielerlei Hinsicht Vorwürfe machen, aber man kann ihnen keinen Mangel am Verständnis äußerer Bedrohungen vorwerfen. (…) Es wird heute viel über den damals geschlossenen Nichtangriffsvertrag geredet, und es werden deshalb dem modernen Russland viele Vorwürfe gemacht. (…) Ich möchte Sie aber auch daran erinnern, dass die Sowjetunion eine rechtliche und moralische Bewertung des so genannten Molotow-Ribbentrop-Pakts {Der Hitler-Stalin-Pakt heißt in Russland Molotow-Ribbentrop-Pakt, nach den Namen der Außenminister} vorgenommen hat. Die Resolution des Obersten Sowjet vom 24. Dezember 1989 verurteilte das geheime Zusatzprotokoll {worin die Einflussspähren in Osteuropa abgegrenzt wurden; die baltischen Staaten wurden darin der Sowjetunion zugeschlagen} offiziell als einen «Akt der persönlichen Macht», der nicht «den Willen des sowjetischen Volkes widergespiegelt hat, das nicht für diese Verschwörung verantwortlich ist». (…)
Später – während der Nürnberger Prozesse {1945/46} – erklärten die deutschen Generäle ihren schnellen Erfolg im Osten. Der ehemalige Stabschef der operativen Führung des Oberbefehlshabers der deutschen Streitkräfte, General Jodl, gab zu: «Dass wir nicht schon 1939 verloren haben, liegt nur daran, dass etwa 110 französische und britische Divisionen, die während unseres Krieges mit Polen im Westen gegen 23 deutsche Divisionen standen, völlig passiv geblieben sind.»
Ich habe aus den Archiven die ganze Palette von Dokumenten angefordert, die mit Kontakten der UdSSR mit Deutschland während der dramatischen Tage im August und September 1939 zusammenhängen. Aus Ziffer 2 des geheimen Zusatzprotokolls zum Nichtangriffspakt zwischen Deutschland und der UdSSR vom 23. August 1939 geht hervor, dass im Falle des territorialen und politischen Umbaus der Regionen, aus denen der polnische Staat bestand, die Grenze der Interessensphären der beiden Länder «ungefähr entlang der Grenzen der Flüsse Narev, Weichsel und Sana verlaufen sollte». Mit anderen Worten, es ging nicht nur um Gebiete, in denen eine überwiegend ukrainische und weißrussische Bevölkerung lebte, sondern auch die historisch polnischen Gebiete zwischen Bug und Weichsel fielen {laut Zusatzabkommen} in die sowjetische Einflusssphäre. (…) Das gilt auch für die Tatsache, dass Berlin unmittelbar nach dem Angriff auf Polen in den ersten Septembertagen 1939 Moskau immer wieder zur Teilnahme an der Militäraktion aufgefordert hat. Die sowjetische Führung ignorierte solche Appelle jedoch und vermied bis zum letzten Moment eine Einmischung in die dramatischen Ereignisse.

rst als endgültig klar wurde, dass Großbritannien und Frankreich nicht versuchten, ihrem Verbündeten {Polen} zu helfen und die Wehrmacht in der Lage war, ganz Polen schnell zu besetzen und sogar Minsk zu erreichen, wurde beschlossen, am Morgen des 17. September die militärischen Einheiten der Roten Armee in die Gebiete einrücken zu lassen, die heute Teile von Weißrussland, der Ukraine und Litauen sind.
Es ist offensichtlich, dass es keine andere Möglichkeit gab. Andernfalls wären die Risiken für die UdSSR um ein Vielfaches gewachsen, denn, ich wiederhole es, die vorherige sowjetisch-polnische Grenze verlief nur wenige Dutzend Kilometer von Minsk entfernt, und der unvermeidliche Krieg mit den Nazis hätte für das Land {Sowjetunion} aus einer äußerst ungünstigen strategischen Position begonnen. Und Millionen von Menschen verschiedener Nationalitäten, darunter Juden, die in Brest und Hrodna, Peresim, Lemberg und Wilna lebten, wären den Nazis und ihren lokalen Handlangern, Antisemiten und radikalen Nationalisten zur Vernichtung überlassen worden. (…)
Bekanntermaßen ist der Konjunktiv schwierig auf Ereignisse anzuwenden, die bereits eingetreten sind. Ich sage nur, dass die sowjetische Führung im September 1939 die Gelegenheit hatte, die westlichen Grenzen der UdSSR weiter nach Westen bis nach Warschau zu schieben, aber beschlossen hat, dies nicht zu tun. (…) Am 4. Oktober 1939 erklärte der britische Außenminister Halifax im House of Lords: «Es sei daran erinnert, dass die sowjetische Regierung die Grenze im Wesentlichen auf die Linie verlagert hat, die Lord Curzon während der Konferenz von Versailles empfohlen hatte (…).» Der bekannte britische Politiker und Staatsmann Lloyd-George unterstrich: «Die russische Armee hat Gebiete besetzt, die nicht polnisch sind und die nach dem Ersten Weltkrieg gewaltsam von Polen erobert wurden. (…) Es wäre ein Akt kriminellen Wahnsinns, die russischen Bewegungen mit den Bewegungen der Deutschen auf ein und dieselbe Stufe zu stellen.» (…)
Es ist daher unfair zu behaupten, dass der zweitägige Besuch des Nazi-Außenministers Ribbentrop in Moskau der Hauptgrund für den Zweiten Weltkrieg ist. Alle führenden Länder tragen in unterschiedlichem Maße ihren Anteil an seinem Anfang. Jeder machte irreparable Fehler, weil man glaubte, man könne andere überlisten, sich einseitige Vorteile sichern oder sich von dem bevorstehenden, weltweiten Übel fern halten. Und für diese Kurzsichtigkeit, kein System kollektiver Sicherheit zu schaffen, mussten Millionen von Menschen mit ihrem Leben zahlen.
Quelle: Essay in The National Interest vom 18.6.2021
Fehler auf allen Seiten
Wir müssen verstehen, dass jegliche Zusammenarbeit mit Extremisten, wie zum Beispiel seiner Zeit mit den Nazis, egal unter welchen Bedingungen, egal aus welchen Motiven, zu einer Tragödie führen muss. Und es ging hier ja nicht nur um eine Zusammenarbeit, sondern um ein Paktieren. Wir müssen also anerkennen: Alle Maßnahmen zwischen 1934 und 1939 mit der Absicht, die Nazis an ihrer Kriegstreiberei zu hindern, waren echte Friedensbemühungen. Und vom politischen Standpunkt aus gesehen war das ein außerordentlich gefährliches Unterfangen, und schließlich endete all das in einer Tragödie, im Beginn des Zweiten Weltkrieges, und natürlich muss man diese damals gemachten Fehler heute anerkennen. Unser Land hat die eigenen Fehler anerkannt. Die Duma der Russischen Föderation, unser Parlament, hat den Hitler-Stalin-Pakt – den Pakt zwischen Ribbentrop und Molotow {August 1939} – verurteilt. Wir möchten, dass auch andere Staaten, die mit Nazi-Deutschland paktierten, auf gleicher Ebene eine Verurteilung vornehmen und nicht nur auf der Ebene von Lippenbekenntnissen, sondern auch auf der politischen Ebene.
{Am selben Tag auf einer weiteren Veranstaltung}

Ich möchte die Aufmerksamkeit unserer verehrten Kollegen auf Folgendes lenken: Der Pakt Ribbentrop-Molotow {Hitler-Stalin-Pakt} war das letzte Dokument zwischen der Sowjetunion als europäischer Macht mit Hitlers Deutschland. Vorher aber gab es den deutsch–polnischen Nichtangriffspakt im Jahre 1934. Auch vor dem Ribbentrop-Molotow-Pakt wurden praktisch ähnliche Nichtangriffspakte zwischen Nazi-Deutschland und den anderen europäischen Großmächten abgeschlossen. Auch noch vor dem Ribbentrop-Molotow-Pakt wurde das sogenannte Münchener Abkommen {zur Preisgabe des Sudetenlandes, September 1938, zwischen Deutschland, Großbritannien, Frankreich, Italien} unterzeichnet. Es wird auch als Münchner Verschwörung bezeichnet. (…)
Wenn wir aber von einer objektiven Bewertung der Geschichte reden wollen, müssen wir verstehen, dass sie nicht nur einfarbig ist. Die Geschichte um den Zweiten Weltkrieg hatte viele Nuancen, und es wurden von vielen Seiten riesige Fehler begangen. All diese Vorgänge und Taten vieler Ländern schufen – auf die eine oder andere Art und Weise – Bedingungen für den Beginn der Aggressionen von Nazi-Deutschland in diesem riesigen Maßstab. An diesen Momenten sollten wir gemeinsam arbeiten, wenn wir ein objektives Bild des Zweiten Weltkrieges sehen wollen.
Wenn sich aber jemand zum Ziel setzt, aus diesem alten, schimmeligen Brötchen der Geschichte nur die Rosinen für sich heraus zu bohren und den schimmeligen Rest des Brötchens nur der anderen Seite zu überlassen, dann wird daraus nichts Gutes.
Quelle: Reden zum Gedenken an den Beginn des Zweiten Weltkrieges in Polen am 1.9.2009
Der Blutzoll der Sowjetunion
Die Nazi-«Strategen» waren überzeugt, dass ein riesiger, multinationaler Staat leicht in sich zusammenfallen würde. Es wurde erwartet, dass der plötzliche Krieg, seine Rücksichtslosigkeit und unerträglichen Härten, unweigerlich die interethnischen Beziehungen verschärfen würden und das Land zerstückelt werden könnte. Hitler sagte direkt: «Unsere Politik gegenüber den Völkern, die die Weiten Russlands bewohnen, sollte darin bestehen, jede Form von Meinungsverschiedenheiten und Spaltung zu fördern.» Doch von den ersten Tagen an wurde klar, dass dieser Plan der Nazis scheiterte. Die Festung Brest wurde von Soldaten von mehr als 30 Ethnien bis zum letzten Blutstropfen verteidigt. Während des Krieges – in großen, entscheidenden Schlachten und bei der Verteidigung jedes Brückenkopfes, jedes Meters der Heimat – sehen wir Beispiele dieser Einheit. (…) Fast 27 Millionen Sowjetbürger sind an den Fronten, in deutscher Gefangenschaft, an Hunger und Bombenangriffen, in Ghettos und Öfen der NS-Todeslager gestorben. Die UdSSR verlor jeden siebten Bürger, das Vereinigte Königreich verlor einen von 127 und die Vereinigten Staaten verloren einen von 320. (…)
Quelle: Essay in The National Interest vom 18.6.2021

Putins Familie im Krieg
Für meine Eltern bedeutete der Krieg die schreckliche Qual des belagerten Leningrads, wo mein zweijähriger Bruder Vitya starb, wo meine Mutter auf wundersame Weise überlebte. Mein Vater meldete sich freiwillig, um seine Heimatstadt zu verteidigen, er tat dasselbe wie Millionen sowjetischer Bürger. Er wurde an der Newski-Brücke schwer verwundet. Und je weiter diese Jahre sich entfernen, desto größer wird der Wunsch, mit den Eltern zu sprechen, mehr von ihnen über die Zeit des Krieges zu erfahren. Aber heute ist es unmöglich, irgendetwas zu fragen, also bewahre ich die Gespräche mit meinem Vater und meiner Mutter über dieses Thema in meinem Herzen, auch ihre zurückgehaltenen Emotionen.
Quelle: Essay in The National Interest vom 18.6.2021
Die ukrainischen Nazis und der Holocaust
Wie wir wissen, waren die Täter sowohl der Pogrome an Polen als auch der Pogrome an Juden nicht die Deutschen selbst, sondern nur die SS-Division Galizien {bestehend hauptsächlich aus ukrainischen Freiwilligen}, Bandera {Stepan Bandera, ukrainischer Nationalistenführer} und so weiter – all diese profaschistischen Bastarde. Sie vernichteten die Zivilbevölkerung: Sie massakrierten Russen, Juden und Polen.

Jeder weiß es. Und jetzt können wir auf den Aufnahmen der ukrainischen Wochenschau sehen, wie Menschen mit SS-Galizien-Abzeichen im Kriegsgebiet im Donbass stehen. Das deutet darauf hin, dass wir das Richtige und Rechtzeitige getan haben, indem wir diese Operation {den Einmarsch in die Ukraine am 22. Februar 2024} gestartet haben, sonst hätte es noch mehr von ihnen gegeben.
Quelle: Pressekonferenz mit Alexander Lukaschenko am 12.4.2022
Stalin war ein Produkt seiner Zeit. Man kann ihn einerseits verteufeln, so viel man will. Andererseits reden wir ja auch über seine glorreichen Verdienste im Kampf gegen den Faschismus. Und was die Verteufelung angeht – wir kennen auch eine historische Figur namens Oliver Cromwell. Der war ein sehr blutrünstiger Mann, der im Zuge einer Revolution an die Macht kam und sich zu einem Diktator und Tyrannen entwickelte. Trotzdem findet man heute noch in ganz Großbritannien Denkmäler zu seinen Ehren. Auch Napoleon wird nach wie vor vergöttert. Aber was hat er getan? Er bediente sich einer Welle revolutionärer Begeisterung, um an die Macht zu kommen. Dann führte er nicht nur die Monarchie wieder ein, sondern ernannte sich auch noch selbst zum Kaiser. Und er führte Frankreich in eine nationale Katastrophe, in die völlige Niederlage. Es gibt viele solcher Situationen und Persönlichkeiten, mehr als genug in der gesamten Weltgeschichte. Ich glaube, dass die übermäßige Verteufelung Stalins nur eine der Methoden ist, die Sowjetunion und Russland anzugreifen. Man versucht damit, dem heutigen Russland einen Ursprung im Stalinismus unterzuschieben. Natürlich hat auch unser Land in Bezug auf seine Vergangenheit keine weiße Weste, aber damit müssen wir leben.
Der ukrainische Nazi-Führer
Stepan Bandera war Chef der 1929 in Wien gegründeten Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN). Über spröden Nationalismus ging er indes weit hinaus, wie man einem Aufsatz in Le Monde diplomatique aus dem Jahr 2007 entnehmen kann: «1940 kam es zu einer Spaltung der Bewegung. Der radikale Nationalist Stepan Bandera gründete die scharf antisemitische OUN-B (Banderowzi), aus deren Reihen sich die Freiwilligen schon 1941 für zwei ukrainische Wehrmachtsbataillone (Nachtigall und Roland) rekrutierten. Nach dem deutschen Angriff auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941 beteiligte sich Banderas OUN-B an zahlreichen Pogromen in der Ukraine.» In einer Studie der Universität Augsburg (Der Holocaust in der Ukraine) heißt es: «Schätzungen zufolge partizipierten 30.000 bis 40.000 Ukrainer am Holocaust. Aus Ukrainern zusammengestellte Polizeibataillone, OUN-Milizen sowie Anwohner beteiligten sich an Pogromen und halfen bei der Organisation und Durchführung von Massenerschießungen.» Eine OUN-Miliz bereitete zum Beispiel durch Verhaftungen die Massenerschießung von 3.000 Juden durch die Einsatzgruppe C der deutschen Sicherheitspolizei am 5. Juli 1941 in Lemberg vor. Aus der Zeit dieser blutigen Kollaboration stammt auch ihr Abzeichen, das vom Asow-Regiment der heutigen ukrainischen Armee weiterverwendet wird: eine blaue Wolfsangel auf gelbem Grund. Das Symbol wurde auch von der damaligen SS-Verfügungsdivision genutzt.
Bandera wurde noch 1941 auf Geheiß Hitlers verhaftet – seine Vision einer Eigenstaatlichkeit der Ukraine passte nicht ins Nazi-Konzept einer Neuordnung des Ostens. Er wurde in Sachsenhausen interniert – allerdings nicht im KZ-Trakt, sondern als sogenannter Ehrenhäftling in einer größeren Wohnung mit getrenntem Schlaf- und Wohnbereich, Bildern an den Wänden und Teppich auf dem Boden. Hitler wollte ihn zum gemeinsamen Kampf gegen die Sowjets wieder zurück in die Ukraine schicken – ein Vorhaben, das am schnellen Vormarsch der Roten Armee scheiterte. (Redaktion)
Was ich damit sagen will: Russland hat sich radikal verändert. Irgendetwas aus dieser Zeit hat sich sicher in unserer Mentalität festgesetzt, aber eine Rückkehr zum Stalinismus wird es nicht geben, weil sich die Mentalität des Volkes geändert hat. Als Stalin an die Macht kam, hatte er noch wunderbare Ideen, die er realisieren wollte. Er sprach von Gleichheit, Brüderlichkeit und Frieden … und dann wurde er zum Diktator. Ich glaube nicht, dass in dieser Lage etwas anderes möglich gewesen wäre. Damit meine ich die Weltlage. War es in Spanien, Italien oder Deutschland etwa besser? Es gab viele Staaten, deren Regierungen eine Gewaltherrschaft einsetzten.
Das bedeutet aber noch lange nicht, dass Stalin nicht imstande gewesen wäre, das Volk der Sowjetunion zu vereinen. Er schaffte es, den Widerstand gegen den Faschismus zu organisieren. Und er verhielt sich dabei nicht wie Hitler, sondern hörte auf seine Generäle und ließ sich sogar einige Male von ihnen eines Besseren belehren. Das alles heißt natürlich nicht, dass wir die Gräueltaten des Stalinismus vergessen dürften – den Mord an Millionen unserer Landsleute, die Vernichtungslager. Die Erinnerung daran muss erhalten bleiben. Stalin ist eine zwiespältige Figur. Ich glaube, dass er gegen Ende seines Lebens in einer psychisch sehr schwierigen Lage war. Aber um dies mit Sicherheit sagen zu können, wäre eine unparteiische Studie nötig.
Quelle: Oliver Stone-Interview mit Putin am 2.7.2015
Seit Wladimir Putin im Sommer 1999 als weitgehend Unbekannter wie aus dem Nichts heraus auf der Weltbühne erschienen ist, rätselt man im Westen über seine wahren Absichten. Im Zuge der Ukraine-Krise erreichte das Rätselraten einen neuen Höhepunkt. In den Massenmedien wurde immer wieder von Journalisten, Osteuropa-Experten und Politikern eingestanden, dass keiner wisse, was Putin wirklich will, und dass »alle am Rätseln« seien. Dabei sagt Wladimir Putin in seinen Reden ziemlich klar, wie er die Welt sieht, was ihm an der internationalen und insbesondere an der Politik der USA missfällt, für welche Werte er steht und wo für ihn rote Linien verlaufen.